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Selbst-Berührungsgesten haben gerade in der Corona-Zeit enorm an Aufmerksamkeit gewonnen. Wie oft wurde uns gerade zu Beginn der Pandemie eingetrichtert, dass wir uns bspw. nach dem Einkaufen nicht ins Gesicht fassen sollen, um die Übertragung von Viren auf unsere Schleimhäute zu verhindern. Doch das ist gar nicht so einfach: Laut dem Leipziger Haptikforscher Martin Grunwald berühren wir uns zwischen 400 und 800 Mal pro Tag im Gesicht, ohne dass wir davon Notiz nehmen. Vielleicht fassen Sie sich sogar beim Lesen dieses Artikels an die Nase oder spielen mit Ihren (Bart-)Haaren.

Was Selbst-Berührungsgesten bedeuten können

Berührung beruhigt! Deshalb gehören die Selbst-Berührungsgesten (G3.1) zu den Beruhigungsgesten, den sogenannten Adaptoren. Sie sind in der Regel dazu da, den eigenen mental-emotionalen Zustand zu verändern. So nehmen sie bei emotionalem Stress zu, und wenn wir unter Spannung stehen, aber auch bei Langeweile.  Damit liegt ihnen tatsächlich keine kommunikative Absicht zugrunde, was jedoch nicht bedeutet, dass uns dieses Signal nichts sagt.

Selbst-Berührungsgesten können neben den bereits erwähnten Bedeutungen auch auf Folgendes hinweisen:

  • Scham, Verlegenheit oder Angst
  • ein Bedürfnis nach Geborgenheit, sofern die Gesten sich in sanfter Form wie leichtes Massieren oder Streicheln zeigen
  • Liebeswerben: hier treten sie vermehrt als positives Flirtsignal auf
  • Nachdenken, wenn wir uns bspw. mit dem Zeigefinger im Gesicht berühren
  • in Kommunikationssituationen zeigen introvertierte Menschen vermehrt Beruhigungsgesten

Berühren wir uns vermehrt selbst und zeigen damit, dass wir uns beruhigen, wirken wir inkompetent und unsicher. Allerdings erzeugen wir damit in dosierter Form auch Sympathie und zwischenmenschliche Wärme.

Weiterführende Informationen zum Thema Beruhigungsgesten finden Sie in der Mimikresonanz®-Profibox.

So erkennen Sie Selbst-Berührungsgesten

Weil es viele verschiedene Selbst-Berührungsgesten gibt, zähle ich hier nur einige Beispiele auf. Überlegen Sie gerne selbst mit: Was sind weitere Selbst-Berührungsgesten, die Sie kennen?

  • Beispiele:
    • Kratzen oder Berühren im Gesicht, am Hals oder Nacken
    • mit den Haaren oder dem Bart spielen
    • Lippen lecken, beißen oder einsaugen
    • mit Daumen und Zeigefinger das Ohrläppchen kneten
    • mit den Handinnenflächen über die Oberschenkel streichen

Darüber hinauszeichnen Selbst-Berührungsgesten sich durch folgende Merkmale aus:

  • die Person berührt sich selbst, meist mit sich wiederholenden Bewegungen, z.B. an den Fingern pulen oder knibbeln
  • Selbst-Berührungsgesten werden typischerweise unbewusst ausgeführt, lassen sich aber sehr leicht kontrollieren
  • sie werden häufiger mit der linken als mit der rechten Hand ausgeführt

Das Face-Cover – die Sonderform der Selbst-Berührungsgesten

Das Gesicht ist nach der Hand der zweithäufigste Bereich, in dem Selbst-Berührungsgesten auftreten. Eine spezielle Hand-Gesicht-Berührung ist dabei das Face Cover, bei dem wir mit den Händen unser Gesicht verbergen, eine meist unbewusste Bewegung. Sie tritt häufig in sehr emotionalen Momenten auf, z.B. beim Weinen oder bei Scham oder Rührung. Nach dem amerikanischen Psychologen David Matsumoto hat dieses Signal einen evolutionären Ursprung: Unsere Vorfahren wollten ihre Gefühle vor Feinden verstecken, denn hätten sie verletzliche Gefühle wie z.B. Trauer offenbart, hätten sie sich womöglich in Gefahr gebracht.

Instinktive Selbstberuhigung

Schon Babys und Kleinkinder wissen instinktiv um die beruhigende Wirkung von Berührung, deshalb lutschen sie am Daumen oder an einem Nuckel. Das Gleiche gilt für Tiere. Auch sie haben einen natürlichen Instinkt und lecken sich selbst oder ihre Artgenossen nicht nur zur Fellpflege, sondern ebenso zur Beruhigung.

Warum dieses Signal im Coaching wichtig ist

Sind Sie als Coach tätig und beobachten bei Ihrem Klienten eine Zunahme der Selbst-Berührungsgesten, ist dies ein Hinweis darauf, dass es sich um ein relevantes Thema handelt, dass Sie für eine wirkungsvolle Veränderungsarbeit aufgreifen können. Wie Studien belegen, ist die Abnahme von Beruhigungsgesten sogar ein wichtiger Indikator für den Erfolg einer Psychotherapie.

Quellen

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Über den Autor: Dirk W. Eilert

Dirk W. Eilert, Jahrgang 1976, ist Experte für emotionale Intelligenz und Entwickler der Mimikresonanz®-Methode sowie des emTrace®-Coachingansatzes. Als einer der führenden Mimik- und Körpersprache-Experten im deutschsprachigen Raum ist seine Expertise regelmäßig in Radio, TV und Printmedien gefragt. Dirk W. Eilert ist verheiratet und hat zwei Töchter. Er lebt in Berlin und leitet dort seit 2001 die Eilert-Akademie.

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