Teilen Sie diesen Artikel!

„Ich hab’s mir auch angewöhnt, dass ich jeden Tag in der Früh in den Garten schaue und vielleicht eine Blume hinrichte oder aufrichte.“

Ein Politiker, der uns im Laufe seiner Karriere zahlreiche Versprecher beschert hat, war der damalige bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber. Legendär seine Transrapid-Rede aus dem Jahr 2002 oder sein Versuch, die „lodernde Glut“ zu formulieren, die ihm als „gludernde Lot“, „gludernde Flut“ und „lodernde Flut“ über die Lippen ging. Selbst wenn es um’s Private ging, versprach er sich, wie eingangs erwähntes Zitat verdeutlicht. Bedeutet das nun, dass er einfach nicht sprechen kann? Nein, denn Sprechfehler können auch auf einen situativen inneren Zustand hinweisen.

Was Sprechfehler bedeuten können

In der Mimikresonanz®-Profibox (also auch im WOCS) gehören die Sprechfehler zum Beobachtungskanal der Stimme, die wir auch als unsere „Jukebox“ der Emotionen bezeichnen. Dort gehört dieses Signal zum Sprechstil (V2.3). Sprechfehler zeigen:

  • grundsätzlich eine erhöhte kognitive Ladung
  • emotionaler Stress
  • in Form von Wortwiederholungen oder auch dem Wiederholen ganzer Sätze können sie Hinweis auf eine Lüge sein

Besonders bei der Emotion Angst nehmen Sprechfehler zu. Deshalb schwächen sie auch die Kompetenzwirkung und transportieren Nervosität.

So erkennen Sie Sprechfehler

Unter einem Sprechfehler fassen wir nicht nur die oben beschriebenen Buchstabendreher, sondern auch folgende Merkmale:

  • Satzkorrekturen: eine Aussage wird „falsch“ begonnen und dann korrigiert
  • Wortwiederholungen: Worte werden wiederholt, z.B. „Darüber … darüber rede ich ja ungern“
  • Stottern: der erste Buchstabe eines Wortes wird wiederholt, z.B. „G-g-uten Tag!“
  • Versprecher: ein beabsichtigtes Wort wird beispielsweise unwillentlich durch ein anderes ersetzt
  • unvollständige Sätze: die Person unterbricht eine Aussage, spricht aber ohne Korrektur weiter

Der berühmte Freud’sche Versprecher

Sigmund Freud ging Anfang des 20. Jahrhunderts davon aus, dass Versprecher das offenbaren, was der sich Versprechende wirklich denkt. Zum Beispiel: „Dass ich … äh … dass mein Freund in sie verliebt ist.“ Nach Freud hieße das, dass ich in sie verliebt bin und nicht mein Freund. Diese auch als „Freud’scher Versprecher“ berühmt gewordene Annahme ist jedoch ein Mythos. Die meisten Versprecher lassen sich durch reine Fehler in der kognitiven Sprachproduktion erklären: Wörter mit ähnlicher Bedeutung, Form oder verwandtem Klang sind im Gehirn „nebeneinander ablegt“. Deshalb wird manchmal das falsche Wort aus dem Speicher abgerufen.

Dennoch: Ganz Unrecht hatte auch Freud nicht. Hin und wieder werden wir kognitiv geprimt. In einer Studie z.B., bei der Männer das Wortpaar „bine foddy“ aussprechen sollten, sagten diese mehr als doppelt so oft „fine body“, wenn eine attraktive Versuchsleiterin anwesend war.

In einigen Fällen kann Ihnen ein Versprecher daher vermutlich tatsächlich wertvolle Informationen liefern. Berücksichtigen Sie aber stets die begleitenden Signale. Hier gilt umso mehr der zentrale Wahrnehmungsgrundsatz: Halten Sie nicht nach Einzelsignalen Ausschau, sondern nach Signalclustern.

Quellen

Baars, B. J., Cohen, J., Bower, G. H., & Berry, J. W. (1992). Some Caveats on Testing the Freudian Slip Hypothesis. In B. J. Baars (Ed.), Experimental Slips and Human Error (pp. 289-313). New York, NY: Springer.

Banerjee, S., Casenhiser, D., Hedinger, T., Kittilstved, T., & Saltuklaroglu, T. (2017). The perceived impact of stuttering on personality as measured by the NEO-FFI-3. Logopedics Phoniatrics Vocology, 42(1), 22-28.

Burgoon, J. K., Kelley, D. L., Newton, D. A., & Keeley-Dyreson, M. P. (1989). The nature of arousal and nonverbal indices. Human communication research, 16(2), 217-255.

DePaulo, B. M., Lindsay, J. J., Malone, B. E., Muhlenbruck, L., Charlton, K., & Cooper, H. (2003). Cues to deception. Psychological bulletin, 129(1), 74.

Exline, R. V. (1985). Multichannel Transmission of Nonverbal Behavior and the Perception of Powerful Men: The Presidential Debates of 1976. In S. L. Ellyson & J. F. Dovidio (Eds.), Power, Dominance, and Nonverbal Behavior (pp. 183-206). New York, NY: Springer.

Frank, M. G., Maroulis, A., & Griffin, D. J. (2013). The Voice. In D. Matsumoto, M. G. Frank, & H. C. Hwang (Eds.), Nonverbal Communication: Science and Applications. Thousand Oaks, CA: Sage Publications.

Kasl, S. V., & Mahl, G. F. (1965). Relationship of disturbances and hesitations in spontaneous speech to anxiety. Journal of Personality and Social Psychology, 1(5), 425-433.

Keltner, D., & Buswell, B. N. (1997). Embarrassment: Its distinct form and appeasement functions. Psychological bulletin, 122(3), 250-270.

Motley, M. T., Camden, C. T., & Baars, B. J. (1979). Personality and situational influences upon verbal slips: A laboratory test of Freudian and prearticulatory editing hypotheses. Human communication research, 5(3), 195-202.

 

Teilen Sie diesen Artikel!

Über den Autor: Dirk W. Eilert

Dirk W. Eilert, Jahrgang 1976, ist Experte für emotionale Intelligenz und Entwickler der Mimikresonanz®-Methode sowie des emTrace®-Coachingansatzes. Als einer der führenden Mimik- und Körpersprache-Experten im deutschsprachigen Raum ist seine Expertise regelmäßig in Radio, TV und Printmedien gefragt. Dirk W. Eilert ist verheiratet und hat zwei Töchter. Er lebt in Berlin und leitet dort seit 2001 die Eilert-Akademie.

Hinterlassen Sie einen Kommentar