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Was macht Coaching, oder generelle Veränderungsprozesse, so erfolgreich? Liegt es wirklich an einer speziellen Methode? Nach zwei Jahrzehnten der Suche bin ich zu einer grundlegenden Erkenntnis gelangt: Erfolgreiches Coaching hängt nicht von einer bestimmten Technik ab, sondern von fünf übergeordneten Wirkfaktoren.
Auf der Suche nach den Wirkfaktoren
Seit über 20 Jahren beschäftige ich mich mit Coaching und Strategien der persönlichen Veränderung, insbesondere im Bereich des Emotionscoachings.
Bei all meinen Ausbildungen und Praxiserfahrungen blieb jedoch eine Frage und beschäftigte mich nachhaltig: Wie kommt es, dass das mentale Rückspulen eines Films die gleiche nachhaltige Veränderung bewirkt wie das Klopfen von Körperpunkten? Was sind die gemeinsamen Wirkfaktoren, die verschiedene Interventionen miteinander verbinden und deren Wirkung übergeordnet erklären?
Die Frage nach den verbindenden Wirkelementen bewegte mich sicherlich nicht zuletzt, weil ich neben vielen anderen Ausbildungen – wie zum Beispiel Hypnotherapie, Kinesiologie und EMDR – auch NLP-Lehrtrainer bin. Die Suche nach der gemeinsamen Wirkung ist die „Seele“ der Neurolinguistischen Programmierung. War es doch genau diese Frage nach den übergeordneten Wirkfaktoren, die Anfang der 1970er Jahre Richard Bandler und John Grinder dazu inspirierte, sich die großen „therapeutischen Magier“ ihrer Zeit genauer anzusehen und zu erforschen, wie genau diese ihre herausragenden Ergebnisse in der therapeutischen Arbeit mit ihren Klienten erzielten.
Das Faszinierende: Obwohl die drei Psychotherapeuten – Virginia Satir, Fritz Perls und Milton Erickson –, die Bandler und Grinder zu Beginn des NLP (Neuro Linguistisches Programmieren) modellierten, unterschiedliche Persönlichkeiten besaßen und mannigfache Techniken einsetzten, so gab es dennoch verbindende Wirkelemente, die den Erfolg der Veränderungsarbeit erklärten. Diese „Seele“ des NLP ist aus meiner Sicht leider bei vielen Coaches und auch Trainer:innen in der momentanen Entwicklung des NLP sehr in Vergessenheit und in den Hintergrund geraten. Um diese „Seele“ neu zu erwecken, stelle ich Ihnen die Antwort der Wissenschaft auf die Frage nach gemeinsamen Wirkfaktoren vor.
Gemeinsame Wirkfaktoren – die Antwort der Wissenschaft
Die Wissenschaft hat mittlerweile auf die Frage nach den übergeordneten Wirkfaktoren erfolgreicher Veränderung spannende und aufschlussreiche Antworten gefunden. Denn neue Erkenntnisse, vor allem der Gehirnforschung, enthüllen immer klarer, warum bestimmte Interventionen im Coaching wirken. Die faszinierenden Studienergebnisse haben die Art und Weise, wie wir Coaching verstehen und anwenden, bereits heute stark verändert.
Zu verstehen, warum und wie genau bestimmte Interventionen so wirkungsvoll sind und die dahinter ablaufenden neuronalen Prozesse zu begreifen, hilft Ihnen gezielt und flexibel an dem/ der Klient:in orientiert neue Interventionen zu entwerfen und noch punktgenauer sowie effektiver zu arbeiten. Die wissenschaftliche Forschung hat in den letzten Jahren vor allem fünf Wirkfaktoren entdeckt, die eine erfolgreiche emotionale Veränderung ausmachen.
Wirkfaktor 1: Transformative Allianz
Die essentielle Grundlage jedes Coachings ist die Qualität der Beziehung zwischen Coach und Klient:in. Diese transformative Allianz – das Arbeitsbündnis mit dem Ziel eine Veränderung zu bewirken – gilt in der Forschung als der wichtigste übergeordnete Wirkfaktor jeglicher Veränderungsarbeit, unabhängig vom methodischen Ansatz. Dieser Wirkfaktor ist auch unter dem Begriff der „therapeutischen Allianz“ geläufig, da in den meisten Studien die Einflussgröße der Allianz in der Psychotherapie untersucht wurde. Ebenjene Studien deuten darauf hin, dass die transformative Allianz 30 bis 70 Prozent der Wirkung aller Psychotherapieverfahren erklären kann. Kein anderer Faktor ist so umfassend in wissenschaftlichen Studien untersucht worden.
So hat beispielsweise eine große Meta-Analyse aus dem Jahr 2018, in der knapp 300 Studien mit mehr als 30.000 Patienten ausgewertet wurden, gezeigt: Zwischen der Beziehungsqualität und dem Erfolg einer Psychotherapie besteht ein robuster positiver Zusammenhang – und zwar unabhängig von anderen Faktoren wie der therapeutischen Schule, Patienteneigenschaften oder der Kultur. Weil sich die Verfahren in Psychotherapie und Emotionscoaching in großen Teilen ähneln, lassen sich diese Ergebnisse nahezu eins zu eins auf die Coachingpraxis übertragen.
Die zentrale Frage für diesen Wirkfaktor lautet: Wie kreieren Sie im Coaching bewusst eine positive Bindungsqualität zwischen Ihnen und Ihren Klient:innen?
Wirkfaktor 2: Relational-motivationale Klärung
Dieser Wirkfaktor umfasst ein übereinstimmendes Verständnis von Ihnen als Coach und Ihren Klient:innen darüber, wie diese das Thema kognitiv und emotional repräsentieren. Es geht darum, die individuelle Problemstruktur zu verstehen, um so die passende und effektivste Intervention auszuwählen. Neben einem fundierten Klärungsmodell (wir nutzen bei uns im Coaching den Motivkompass® als Modell menschlicher Motivation), gibt es zwei weitere wichtige Fertigkeiten für diesen Wirkfaktor: eine effektive Fragetechnik und eine herausragende Wahrnehmungsfähigkeit nonverbaler Signale. Hier geht es darum, das Kernthema Ihrer Klient:innen punktgenau zu erfassen.
Die Schlüsselfrage, um diesen Wirkfaktor zu nutzen, lautet: Was konkret tun Sie und welches Modell nutzen Sie, um das Kernthema Ihrer Klient:innen zu erfassen?
Wirkfaktor 3: Aktivierung von Ressourcen
Sie helfen Ihren Klient:innen vorhandene emotionale Ressourcen aufzuspüren und für den Veränderungsprozess nutzbar zu machen. Dies ist einer der zentralen Schritte im Emotionscoaching und in jeder anderen wirkungsvollen Veränderungsarbeit. Denn der Erfolg eines Emotionscoachings wie auch einer Psychotherapie hängt laut der aktuellen wissenschaftlichen Forschung vor allem davon ab, wie gut es Coaches gelingt, die mitgebrachten Ressourcen der Klient:innen für die Coachingziele zu aktivieren. Hier gilt: In einem erfolgreichen Coaching überwiegt die Ressourcen- die Problemaktivierung, vor allem zu Beginn als auch zum Ende der Sitzung. Die Ressourcenaktivierung ist nach der transformativen Allianz der wichtigste Wirkfaktor.
Möchten Sie diesen Wirkfaktor optimal einsetzen, fragen Sie sich: Wie kann ich vor allem zu Beginn und zum Ende des Coachings vorhandene emotionale Ressourcen aktivieren?
Wirkfaktor 4: Core-Aktivierung
Bleibt ein Coaching lediglich auf der Ebene sachlicher Schilderungen, bewegt sich der Veränderungsprozess an der Oberfläche. Eine wirkliche Tiefenwirkung des Coachings ist nur erreichbar, wenn das, was im Emotionscoaching verändert werden soll (das emotionale Kernthema = engl. Core Issue), zunächst einmal aktiviert, von Ihren Klient:innen also real erlebt wird – vor allem mit den dazugehörigen Emotionen und Körperempfindungen.
Die Kernfrage lautet hier: Wie können Sie Ihre Klient:innen im Coaching emotional in Kontakt mit ihren Themen bringen, sodass diese erlebbar und damit veränderbar werden?
Wirkfaktor 5: Emotionsregulation
Obwohl Emotionen nur kurz andauern, beeinflussen sie sehr stark unsere alltäglichen Entscheidungen und Handlungen. Wollen wir Verhalten verstehen und verändern, ist es deshalb essentiell Emotionen und deren Regulationsmechanismen zu verstehen. Dies betont die Wichtigkeit, Emotionscoaching in kognitiv ausgerichtete Coachingansätze zu integrieren. Da dies immer noch sehr vernachlässigt wird, setze ich im Folgenden hier den Schwerpunkt.
Die Emotionsregulation schließt sich im Coaching organisch an die Aktivierung des emotionalen Kernthemas an. Hier hat vor allem die Gehirnforschung in den letzten Jahren rasante Fortschritte gemacht und zunehmend enthüllt, warum bestimmte Interventionen wirken. So kam z.B. eine aktuelle große Meta-Analyse von 82 wissenschaftlichen Studien zur Wirkweise der schnellen Augenbewegungen im EMDR zum Schluss, dass die dadurch erzielte emotionale Veränderung am besten durch eine bifokale Achtsamkeit erklärt werden kann und nicht durch eine bilaterale Stimulation der Gehirnhälften. Dies kann laut dem renommierten Gehirnforscher Gerhard Roth ohnehin durch links-rechts wechselnde Augenbewegungen nicht erzielt werden.
Die Wirkung bifokaler Achtsamkeit
Für eine bifokale Achtsamkeit seien, so die Forscher, weder bilaterale Reize noch Augenbewegungen notwendig. Es reiche aus, neben dem Stresstrigger (z.B. dem Gedanken an eine Prüfungssituation) einen anderen zweiten Reiz (z.B. die Fokussierung des Blickes auf einen festen Punkt im Raum) einzuführen, der die Aufmerksamkeit beansprucht. Die dadurch erzielte bifokale Achtsamkeit ist nach aktuellem Stand der „heilige Gral“ der Emotionsregulation. Durch die Bifokalität steigt laut wissenschaftlicher Studien die kognitive Leistungsanforderung, was das frontoparietale Netzwerk im Gehirn aktiviert und auf diese Weise u.a. die Amygdala (unser limbisches „Alarmzentrum“) signifikant herunterfährt.
In dem Moment, wo wir das Prinzip der Bifokalität und dessen neuronale Wirkung erfasst haben, verstehen wir, warum sowohl das mentale Rückwärtsspulen eines inneren Films in der schnellen Phobietechnik – das kognitiv ebenso anstrengend ist – als auch die Stimulation schneller Augenbewegungen oder Tappen (das ebenso das frontoparietale Netzwerk aktiviert) zu einem wirkungsvollen Abbau stressender Emotionen führen. Die enorme Bedeutung des frontoparietalen Netzwerks (dessen wichtigster Teil der präfrontale Cortex ist) für die Emotionsregulation und die emotionale Gesundheit wird mittlerweile durch eine Vielzahl an Studien gestützt.
Die Kernfrage, um den Wirkfaktor Emotionsregulation, im Coaching wirkungsvoll einzusetzen, lautet: Welche bifokalen Interventionen nutzen Sie, um blockierende Emotionen zu lösen?
Die Zukunft des Coachings ist integrativ-agil
Aufbauend auf dem Wissen der fünf Wirkfaktoren und meiner Coachingerfahrung der letzten 20 Jahre habe ich 2018 den emTrace®-Emotionscoaching-Ansatz entwickelt. TRACE steht dabei für ein Akronym, mit dem Sie sich die fünf oben genannten Wirkfaktoren leicht merken können. Ich spreche hier bewusst von Coaching-Ansatz statt von –Methode. Denn meine Vision für das Coaching, wie wir es 2030 betrachten werden, ist integrativ und methodenübergreifend.
Sich in die Wirkung verlieben, statt in die Methode
Trotz der fortschreitenden Erkenntnisse der Wirksamkeitsforschung und der zunehmenden Bekanntheit der übergeordneten Wirkfaktoren erfolgreicher Veränderungsarbeit, erlebe ich im heutigen Coachingmarkt immer noch sehr häufig eine starke Begrenzung und Fixierung auf bestimmte Verfahren, statt auf Wirkfaktoren. Der emeritierte Stanford-Professor David D. Burns beobachtet das Gleiche im Bereich der psychotherapeutischen Verfahren: „Ich bin absolut für Werkzeuge (Tools) anstatt Schulen (Schools) der Psychotherapie. In meinen Augen wetteifern die Therapieschulen untereinander wie Religionen.“
Anna Freud (1895-1982) schrieb einmal einem ihrer Studenten: „Als wirklich guter Therapeut müssen Sie eine große Liebe zur Wahrheit haben, sowohl zur wissenschaftlichen Wahrheit als auch zur persönlichen Wahrheit. Und Sie müssen diese Anerkennung der Wahrheit höherstellen als jedes Unbehagen bei der Begegnung unangenehmer Fakten, ob sie nun zur Außenwelt oder zu Ihrer eigenen inneren Person gehören.“ Hier gilt es, dass eigene Ego als Coach und eine eventuelle Methodenverliebtheit zurückzustellen.
Vom Mut und der Bereitschaft zu lebenslangem Lernen
Als Coach den integrativen und damit auch den agilen Weg zu gehen, bedeutet vor allem Mut und die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen. Als integrativer Emotionscoach kultivieren wir eine Haltung von Offenheit für neue Forschungsergebnisse und Erkenntnisse, Mut zur Wahrheit, kreativer Experimentierfreudigkeit und eigener Persönlichkeitsentwicklung. Dies ist der Schlüssel zu einer agilen und integrativen Weiterentwicklung unserer Coachingkompetenz – zum Wohle unserer Klient:innen und der Wirksamkeit des Coachings.
Denn je besser das Emotionscoaching auf die Bedürfnisse wie konkrete Ziele Ihrer Klient:innen ausgerichtet ist, desto wirksamer ist es. Möchten Sie sich als Mensch und in Ihrer Kompetenz als Coach entwickeln und im Sinne Ihrer Klient:innen coachen, hören Sie auf Ihr Herz. Halten Sie sich am besten fern von dogmatischen Sichtweisen, die sagen, nur das Eine würde funktionieren. Die Zukunft des Emotionscoachings ist integrativ und an übergeordneten Wirkfaktoren ausgerichtet.
Ich wünsche Ihnen bei der Entwicklung Ihrer integrativ-agilen Coachingkompetenz von Herzen einen inspirierenden und berührenden Lernprozess. Die fünf übergeordneten Wirkfaktoren sind auf diesem Weg sehr nützliche Begleiter, die Ihnen die Orientierung enorm erleichtern.
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